„Wann ist der Mensch tot?“ Die Debatte um Hirntod und Organspende
Zu dieser Veranstaltung hatten der Bürger- und Patientenverband „Gesundheit Aktiv, anthroposophische Heilkunst e.V.“ sowie der „Gesundheitsladen München e.V.“ eingeladen. Dank Internet kann man sich als Besucher ja schon mal entsprechende Infos über die einladenden Organisationen bzw. Vereine und auch über die Vortragenden Dott. Paolo Bavastro und Prof. Dr. med. Josef Briegel vom Klinikum Großhadern einholen. Für Paolo Bavastro, Internist und Kardiologe, Vertreter der anthroposophischen Medizin ist der Hirntod nicht der Tod des Menschen. Als „Freund“ der Transplantationsmedizin kann man ihn also nicht bezeichnen. Josef Briegel ist Intensivmediziner und Anästhesist sowie der Transplantationsbeauftragte im Klinikum Großhadern.
Dank einer bekannten Suchmaschine, habe ich rausbekommen, dass „Gesundheit Aktiv“ gerade eine Petition zu dieser Thematik am Laufen hat. Nachdem ich die Erstunterzeichner gesehen habe, u.a. Silvia Matthies, Regina Breul, Peter Wodarg, alle seit Jahren erklärte Gegner der Transplantationsmedizin, war es klar, dass es sich nicht um eine Initiative pro Organspende handelt. Eine nähere Beschäftigung damit, habe ich mir erspart. (Während der Veranstaltung wurde aber Werbung für diese Petition gemacht.)
Zugegeben mit etwas mulmigem Gefühl ging ich zu dem Vortrag. Außer Dr. Thomas Breidenbach, geschäftsführender Arzt der DSO in München, verstärkt durch die Koordinatorin Dr. Nicola Kampe habe ich keine mir bekannten Gesichter gesehen.
Durch die Veranstaltung führte übrigens souverän die renommierte BR-Journalistin Claudia Gürkov.
Zuerst ging Josef Briegel auf die Entstehung des Hirntodbegriffs und die Wertung als sicheres Todeszeichen ein. Die Gegner des Hirntodkonzeptes behaupten ja immer, dass der Hirntod nur wegen der Transplantationsmedizin „erfunden“ wurde. Das stimmt sicher nicht: In den Fünfzigerjahren wurden effektive Reanimationen bei Herzstillstand durch die Entwicklung der modernen Intensivtherapie mit maschineller Beatmung erstmals möglich. Negativer Nebeneffekt war allerdings, dass immer mehr Patienten zwar wiederbelebt werden konnten, aber zum Teil sehr schwere Hirnschäden davontrugen die nicht reversibel waren. Diese Patienten lagen dann auf den Intensivstationen und man wartete bis es zum Herz-Kreislaufstillstand kam, um die Maschinen abstellen zu können. Um aber Intensivplätze für Patienten zu sichern, die gute Chancen hatten, auch wieder ins Leben zurückzukommen, wurde der Hirntod, d.h. die irreversible Schädigung des gesamten Hirns als sicheres Todeszeichen bewertet. Somit konnte nach der sicheren Diagnostik des Hirntods die sinnlose maschinelle Beatmung eingestellt werden. Mit der Transplantationsmedizin hatte dies primär also nichts zu tun. Prof. Briegel erklärte dann noch ausführlich die Hirntoddiagnostik anhand des Protokolls der Bundesärztekammer. Zwei Ärzte, meist sind es Intensivmediziner bzw. Neurologen, die mit den Transplantationen nichts zu tun haben, müssen unabhängig zum gleichen Ergebnis kommen. Die Untersuchungen werden auch nach 12 Stunden wiederholt. Erst dann wird ggfls. der Hirntod festgestellt und es könnte unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Organspende kommen. Josef Briegel hat sehr ruhig und sachlich referiert und kam mit seinem zurückhaltenden Auftreten gut bei der Zuhörerschaft an.
Nun bekam Dott. Bavastro das Wort und der zeigte gleich auf der ersten Folie, was Hirntote noch alles können. Von Kinder austragen (z.B. Erlanger Baby) bis hin zur Erektion bei einem hirntoten Mann sei vieles möglich. Beispielsweise bewegen sich Hirntote noch, erleiden Schmerzen bei der Organentnahme und müssten entsprechend narkotisiert werden, so Paolo Bavastro. Hier widersprach Prof. Briegel, der seit über 30 Jahren Anästhesist ist und erklärte, dass ein hirntoter Mensch, bei der Operation keine Analgesie brauche, da er nicht mehr in der Lage sei, Schmerzen zu empfinden. Als Bavastro dann auch noch die neueste Stellungnahme zum Hirntod des Deutschen Ethikrates falsch interpretierte, hielt es Thomas Breidenbach von der DSO nicht mehr auf seinem Stuhl. Es kam zu einem Diskurs zwischen Bavastro und Breidenbach, der vom Publikum vermutlich eher als Expertenstreit betrachtet wurde. Es ging z.B. um ein sogen. „white paper“ der amerikanischen Ethikkommission. Hier ist man als Zuhörer aufgeschmissen, da man es nicht vorliegen hat. Breidenbach hatte mit seinen Gegenargumenten sicher recht, die Einwände wurden aber bei dem anthroposophisch orientierten Publikum schon beinahe als Majestätsbeleidigung an Bavastro gewertet.
Bei der anschließenden Diskussion mit den Zuhörern konnte man anhand der Fragen und der oft langen Statements klar erkennen, dass die Skeptiker bzw. Gegner dieser Medizinrichtung weit überwogen. In meinem Redebeitrag verwies ich auf den eigentlichen Skandal, dass es nämlich zu wenig Organspender gibt und Deutschland hier bald das Schlusslicht in Europa sein wird. Außerdem erinnerte ich an das Schicksal der schwerkranken Patienten, die auf der Warteliste versterben. Im Gegensatz zu einigen Redebeiträgen, die sich sehr kritisch zur Organspende äußerten und tosenden Applaus mit Bravorufen bekamen, rührte sich bei mir keine Hand.
Frau Gürkov erteilte mir das Schlusswort und ich fragte die Anwesenden, wie sie sich selber verhalten würden, wenn sie so schwer erkrankten, dass sie nur mit einem gespendeten Organ überleben könnten? Wenn sie ein Organ nehmen würden, dann hätten sie meines Erachtens auch die ethische Verpflichtung Organe nach dem Tod zu spenden. Paolo Bavastro schüttelte hier energisch den Kopf und bekam Applaus dafür.
Ehrlich gesagt, war diese Veranstaltung für mich eine Enttäuschung. Wie häufig bei solchen Diskussionen geht das Auditorium größtenteils davon aus, dass der verstorbene Spender bei einer Organspende noch lebt. Da kann man eigentlich sagen, was man will, für sachliche Argumente ist niemand zugänglich, Mitleid bzw. Mitgefühl hat man ausschließlich für die vermeintlich bei lebendigem Leib ausgeschlachteten bedauernswerten Kreaturen. Die schwer Kranken, denen mit einer etablierten medizinischen Therapie -also der Transplantation- geholfen werden könnte, sind außen vor, um es noch drastischer zu formulieren: gehen den meisten am Arsch vorbei! Von einem kleinen positiven Ereignis möchte ich aber noch berichten. Ich hatte mich während der Diskussion geoutet, dass ich seit über 30 Jahren mit einer transplantierten Niere überlebe. Meine Sitznachbarin, eine ältere Dame, fragte mich wie es mir gehe und wünschte mir alles Gute. Sie habe schon seit über 20 Jahren einen Organspenderausweis und freue sich, dass sie einen Organempfänger sehe, dem es offensichtlich gut gehe. Immerhin ein kleiner Lichtblick bei diesem frustrierenden Abend.
Karl Votz-Siegemund